Merle Brinkmann, 21, hat seit ihrer Kindheit Diabetes Typ 1. Hier erzählt sie, welche Herausforderungen sie im Alltag hat und wie wir konkret helfen können.
Merle Brinkmann bekam mit sechs Jahren die Diagnose Diabetes Typ 1. Als sie mit ihrer Oma eine Kirmes besuchte, fiel dieser auf, dass Merle extrem viel trank. Sie machte sich Sorgen und veranlasste einen Arztbesuch. Seitdem lebt Merle mit der Krankheit. Heute ist sie 21 Jahre alt und studiert Sportmanagement an der Sporthochschule Köln. Seit kurzem gehört auch Kaya, Diabetikerwarnhündin in Ausbildung, zu ihr.
Was ist Diabetes?
In Deutschland sind laut der Deutschen Diabetes Gesellschaft etwa 8,9 Millionen Menschen an Diabetes Typ 2 und 370.000 an Diabetes Typ 1 erkrankt. Die Zahl steigt, besonders bei jungen Menschen.
Diabetes Typ 1 ist eine Autoimmunerkrankung, bei der der Körper Zellen zerstört, die das Hormon Insulin produzieren. Die meisten Betroffenen bekommen die Diagnose als Kind oder Jugendlicher. Diabetes Typ 2 hingehen ist eine Stoffwechselerkrankung mit dauerhaft zu hohem Blutzuckerspiegel. Risikofaktoren für die Entwicklung eines Diabetes sind: eine dauerhaft ungesunde Ernährung und Übergewicht, Bewegungsmangel und eine familiäre Vorbelastung. Viren stehen im Verdacht das Risiko für Typ-1-Diabetes zu erhöhen.
Redaktion: Du warst erst sechs Jahre alt, als du die Diagnose bekommen hast. Was hat sich ab diesem Zeitpunkt für dich verändert?
Merle: Es gab schlagartig viel mehr Kontrolle. Von da an musste ich vor dem Essen immer erst Kohlenhydrateinheiten ausrechnen. Ich war gerade in die Schule gekommen, musste aber sofort anfangen zu multiplizieren und mit Kommazahlen zu rechnen. Zum Glück ist mein Papa Mathelehrer und hat mich dabei unterstützt. Und ich habe mir das Insulin selbst gespritzt, was für mich aber nie ein Problem war. In der Schule habe ich dann immer eine Bauchtasche mit meinem Blutzuckermessgerät und Traubenzucker darin getragen. Von da an war ich Merle mit der Bauchtasche, Merle mit dem Diabetes.
Redaktion: Was macht dir heute deinen Alltag schwer?
Merle: Ich mache sehr viel Sport, dabei gibt es für mich die meisten Herausforderungen. Beim Schwimmen passe ich immer gut auf, dass mein Blutzuckersensor, den ich am Körper trage, nicht ab geht. Die sind nämlich echt teuer. Teilweise muss ich mitten in einem Sportkurs aufhören, weil meine Werte abrupt absinken und ich erst Zucker zu mir nehmen muss. Und auch, wenn ich abends unterwegs bin, muss ich aufpassen. Alkohol trinke ich nur sehr selten und nur, wenn die Werte passen. Ich darf auf jeden Fall nur so viel trinken, dass ich noch klar im Kopf und im Notfall handlungsfähig bin. Ich habe also immer meine Insulinpumpe im Blick und achte darauf, dass ich Menschen um mich habe, die im Notfall für mich da sind.
Redaktion: Welche Auswirkungen hat die Krankheit auf dein Selbstbild und Selbstbewusstsein?
Merle: Einerseits ist da diese Abhängigkeit von anderen, die das Selbstbewusstsein negativ beeinflusst. Dass ich oft Hilfe brauche oder dass meine Eltern mich aus der Schule abholen mussten, wenn ich einfach nicht mehr konnte. Bei starker Unterzuckerung fehlt mir manchmal sogar die Energie zum Sprechen. Dann brauche ich sehr lange, um etwas Gesagtes aufzunehmen und darauf zu reagieren, weil so viel Chaos in meinem Kopf ist und ich all meine Energie brauche, um erstmal wieder klarzukommen. Da fühle ich mich schon sehr unselbstständig. Auf der anderen Seite bin ich total stolz und selbstbewusst, wenn ich merke, was ich alles alleine schaffe und was trotz des Diabetes alles möglich ist. Und ich habe von Anfang an akzeptiert, dass die Krankheit, meine Pumpe und mein Sensor zu mir gehören, und trage sie ganz offen.
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Redaktion: Welches Verhalten von anderen empfindest du als diskriminierend oder ignorant?
Merle: Wenn ich in einen Club oder ins Kino gehe, darf ich keine Getränke mitnehmen, obwohl ein Fruchtsaft lebensnotwendig für mich sein kann. Das ist mir letztens erst passiert. Ich möchte keine Angst haben müssen, dass mir die Sachen, die ich brauche, weggenommen werden. Wenn ich an der Uni aufgrund meiner Krankheit öfter fehle, muss ich den Kurs im nächsten Semester wiederholen. Das finde ich unfair. Ich bin gespannt, wie es auf dem Arbeitsmarkt laufen wird, wenn ich meinen Behindertenausweis vorzeige. Es gibt leider immer noch Arbeitgeber, die, wenn sie den sehen, sagen: Nein, dann wollen wir dich nicht.
Redaktion: Was wünschst du dir für den Umgang mit der Krankheit im Alltag?
Merle: Vor allem Neugier. Kinder fragen zum Beispiel oft, was das runde Ding an meiner Haut ist. Dann erkläre ich ihnen, dass das ein Sensor ist, der meinen Blutzuckerspiegel misst. Ich erkläre das wirklich gern. Niemand sollte Berührungsängste haben.
Redaktion: Wie können andere konkret helfen, wenn es einer Diabetespatientin wie dir schlecht geht?
Merle: Viele denken, bei Unterzuckerung müsse man sofort Insulin spritzen. Das ist aber genau das Falsche. Wenn ich ansprechbar bin, dann brauche ich etwas, das viel Zucker und wenig Fett hat. Am besten etwas, das schnell wirkt, also Traubenzucker, Cola oder Saft. Und wenn ich schon auf dem Boden liege, dann sofort den Krankenwagen rufen. Am besten etwas unter meinen Kopf legen und mich, vorausgesetzt ich krampfe nicht, in die stabile Seitenlage bringen. Wenn jemand krampfend auf der Straße liegt, denken viele: Der oder die ist bestimmt betrunken. Aber das kann auch ein Diabetespatient oder Epileptiker sein. Ich wünsche mir, dass die Leute aufmerksam sind und im Notfall auch reagieren, denn darauf sind Diabetespatienten angewiesen. Letztes Jahr bin ich zum Beispiel im Supermarkt umgekippt und habe gekrampft. Zum Glück hatte ich einen Ersthelfer.
Redaktion: Seit kurzem hast du eine neue Begleiterin im Alltag – deine Diabetikerwarnhündin. Was können diese Hunde alles?
Merle: Bei Unter- und Überzuckerung ändert sich meine Atemfrequenz. Das kann Kaya hören. Dann warnt sie mich, indem sich mich anstupst oder mir über die Hand schleckt. Und sie kann mir ein Notfallpack mit Traubenzucker und Cola holen. Manche Warnhunde haben auch einen Knopf, über den sie Hilfe kontaktieren können. Meine Hündin möchte ich so trainieren, dass sie sich an mich schmiegt, wenn ich mal stürze, damit ich nicht mit dem Kopf auf dem Boden aufschlage. Viele Leute wissen gar nicht, dass ein Hund auch bei Diabetes unterstützen kann. Dabei ist das echt gut zu wissen, denn wenn ein Hund mit einer Diabeteswarnweste auf der Straße auf dich zuläuft, solltest du ihm direkt folgen. Das bedeutet nämlich, dass etwas passiert ist.
Redaktion: Gibt es noch etwas, das wir alle über Diabetes wissen sollten?
Merle: Ja, dass es eine anstrengende Krankheit ist, mit der man aber wirklich gut leben kann. Ich weiß heute, dass ich sehr viel schaffe. Früher hätte ich gerne mal gehört als meine Werte mal nicht so gut waren: „Das pendelt sich schon wieder ein, du schaffst das. Die Krankheit hindert dich nicht daran, deine Träume zu erfüllen.“