Alessio mit seinem Freund und ehrenamtlichen Begleiter Andreas Vogt Niemals aufgeben: Alessio mit seinem Freund und ehrenamtlichen Begleiter Andreas Vogt

Niemals aufgeben – so lautet Alessios Lebensmotto. Alessio leidet unter der unheilbaren und seltenen Erkrankung „Muskeldystrophie Duchenne“.

Was versteht man unter einer Muskeldystrophie?

Eine Muskeldystrophie ist eine Gruppe von Muskelerkrankungen, bei der es in der Folge zu Muskelschwäche und Muskelschwund kommt. Es gibt verschiedene Arten der Muskeldystrophie. Alessio Lunetto ist von der schlimmsten Form, die nach ihrem Entdecker Duchenne benannt ist, betroffen. Es gibt bis heute keine Aussicht auf Heilung. Die Krankheit endet immer tödlich. Die Ärzte prognostizierten Alessio eine Lebenserwartung von höchstens 18-20 Jahren. Vor Kurzem wurde der Düsseldorfer 27 Jahre alt. Und er denkt überhaupt nicht daran zu sterben.

Als wir Alessio zu Hause besuchen, spüren wir eines sofort: Alessio strahlt eine ungeheure Kraft aus. Diese Kraft zieht er nicht aus seinen Muskeln, sondern aus seinem Willen zu leben.

Hallo Alessio, schön dich zu sehen. Wie geht es dir?

Mir geht es gut, danke 🙂 Ich habe ja alles. Eine Familie, ein Dach über dem Kopf, und ich erlebe viele tolle Dinge. Anderen geht es doch viel schlechter als mir.

Deine Krankheit begleitet dich jeden Tag. Fühlst du dich auch „krank“?

Manchmal. So wie jeder andere auch. Ich habe gute und mal weniger gute Tage. Aber nur weil ich mich nicht bewegen kann und im Rollstuhl sitze, heißt das ja nicht, dass ich mich ständig krank fühlen muss.

Viele unserer Leser haben sicher noch nie etwas von deiner Krankheit gehört. Kannst du uns etwas darüber erzählen?

Ich bin seit meinem 6. Lebensjahr an Duchenne erkrankt. Bis dahin habe ich mich ganz normal entwickelt, wie jedes andere Kind auch. Ich lernte laufen, konnte stehen, springen und mit den anderen Kindern toben. Auf einmal bin ich öfters hingefallen und gestolpert. Dazu kamen dann starke Schmerzen in den Waden. Ich bin dann mit meiner Mutter zum Arzt gegangen. Die Ärzte haben dann Muskelgewebe entnommen und festgestellt, dass ich an Muskeldystrophie Duchenne leide. Darunter leiden ca. 2.000 weitere Kinder und junge Erwachsene in Deutschland.
Für meine Mutter war das ein großer Schock. Als Kind habe ich das noch nicht so verstanden. Ich war ja zunächst auch auf einer normalen Schule, bis die mich da nicht mehr wollten. Die Lehrer hatten Angst, dass ich mit dem Lernpensum nicht mitkomme. Ich bin zwar körperbehindert, aber doch nicht geistig behindert. Ich bin dann auf eine Schule für Körperbehinderte gekommen. Anfangs habe ich mich da nicht wohl gefühlt, weil ich dachte, die sind ja alle viel behinderter als ich. Ich konnte mich zu dieser Zeit ja auch noch etwas bewegen und sogar teilweise stehen.

Seitdem ich 13 bin, bin ich aber vollkommen auf meinen Rollstuhl angewiesen. Heute kann ich mich kaum noch bewegen. Ich bin eigentlich 24 Stunden am Tag auf die Hilfe meiner Mutter angewiesen.

Die Krankheit betrifft auch andere Organe, zum Beispiel das Herz oder die Lunge. Ich habe schon einen ICD (Herzschrittmacher und Defibrillator) implantiert, weil mein Herz nur noch eine Pumpfunktion von 30% hat. Das machen die zur Sicherheit. Wenn es zu heiß oder zu kalt ist, habe ich auch Probleme mit der Atmung. Ich kann auch im Sommer nicht mehr meine Familie in Italien besuchen, da ich wegen der Hitze nicht gut atmen kann.

Arbeiten kann ich jetzt auch nicht mehr. Nach der Schule habe ich in einer Behindertenwerkstatt gearbeitet. Wir wurden dort nach Leistung bezahlt. Mehr Leistung, mehr Geld. Ich habe ca. 60 – 90 Euro im Monat verdient. Ich kann nicht verstehen, warum ich für meine Arbeit nur so wenig Geld verdient habe. Ich habe doch genau so gearbeitet wie Nichtbehinderte. Nachdem ich aber meine Hände kaum noch bewegen konnte, musste ich da aufhören. Ich genieße jetzt einfach mein Leben 🙂

 

Alessio als Kind Alessio KarateAlessio auf dem Roller

 

Was war für dich das bisher krasseste Erlebnis?

Im Sommer 2015 bin ich wegen einer Infektion ins Krankenhaus gekommen und musste in ein künstliches Koma versetzt werden. Ich dachte, das war es jetzt. Ich kann bald die Radieschen von unten sehen. Auch die Ärzte haben gedacht, dass ich sterbe und haben meine Familie, Freunde und Verwandtschaft gebeten, sich von mir zu verabschieden. Die ganze Familie war im Krankenhaus, sogar mein Vater aus Italien reiste an.
Irgendwie dachten alle ans Sterben, nur ich nicht. Mir wurde klar, dass ich noch ein bisschen bleiben muss. Ich muss noch etwas erledigen und anderen helfen. Ich fing an zu kämpfen.

Früher ging es mir oft psychisch nicht gut. Ich habe mich oft gefragt, was ich mit diesem Leben machen soll. Aber als ich aus dem Koma erwacht bin und überlebt habe, wusste ich, dass ich unbedingt leben und niemals aufgeben will.

Woher nimmst du diese Kraft?

Alessio beim TätowiererAus meinem Lebensmotto: Niemals aufgeben. Das habe ich mir auch auf den Unterarm tätowieren lassen. Ich glaube da einfach ganz fest dran. Das hilft mir.
Nach meinem Aufenthalt im Krankenhaus geht es mir wieder viel besser. Dass ich nicht gestorben bin, ist ein kleines Wunder. Und ich glaube, das hat etwas mit meiner Lebenseinstellung zu tun. Ich kämpfe und ich denke immer positiv. Ich kenne einen, der hatte das gleiche wie ich. Der war sehr negativ und der ist auch leider schon gestorben.

Wenn es mir schlecht geht, schaue ich auf mein Tattoo. Dann geht es mir direkt wieder besser. Ich hätte selber nicht gedacht, dass ich so viel Kraft habe, aber sie ist da. Durch meinen Glauben motiviere ich mich und meine Lebenseinstellung wird automatisch positiv. Der Glaube an etwas ist sehr wichtig. So ist das.

Meine Mutter gibt mir natürlich auch sehr viel Kraft. Sie hat schon immer eine positive Einstellung, auch wenn uns viele schlechte Dinge widerfahren sind. Meine Mutter ist sehr stark. Das überträgt sich auf mich.

Was sind besonders schöne Momente in deinem Leben?

In meinem Leben sind mir meine Familie und meine Mama besonders wichtig. Wir erleben gemeinsam viele schöne Momente. Meine Kusine hat eine Tochter bekommen, wenn ich Zeit mit ihr verbringe, geht es mir immer besonders gut. Sie ist sooo süß. Außerdem habe ich noch einen Halbbruder in Italien, wir skypen ab und zu, das ist auch immer toll. Er ist so frech 🙂 Richtig schön.

Neben meiner Familie gibt es noch eine Reihe von Dingen, die ich durch die Hilfe meines ehrenamtlichen Helfers und ziemlich besten Freundes Andreas erleben darf. Zum Beispiel bin ich mal mit dem Hubschrauber über Köln geflogen. Oder ich habe schon zweimal Kaya Yanar getroffen. Auch andere Prominente 🙂 Das ist schon toll. Wir gehen auch zu Konzerten oder zum Wrestling. Das ist immer besonders. Ich bin aber auch sehr viel zu Hause. Ich chille gerne.

 

Alessio mit Kaya Yanar

Alessio mit Atze Schröder

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Was magst du gar nicht?

Hass. Ich war mal mit Andreas unterwegs und da haben wir eine Hooligan-Demo gesehen. Ich verstehe das nicht. Das sind alles gesunde Leute, die verhalten sich wie Neandertaler. Denen geht es einfach zu gut. Worüber regen die sich denn auf? Über Herkunft, über Nationalitäten? Das ist doch völlig egal. Hass darf doch nicht der Sinn des Lebens sein. Man soll froh sein für das, was wir haben. Scheiß auf Hasspredigten. Frieden ist wichtig. Ich finde diese Alltagsprobleme absolut langweilig.

Welche Ziele, Wünsche und Träume hast du?

Ich wünsche mir eine Freundin. Ich bin nämlich noch Single. Leider ist es in Düsseldorf für jemanden mit meinem Krankheitsbild nicht so leicht, neue Leute kennenzulernen. Es wäre toll, wenn es ein Netzwerk gäbe, wo man sich mal mit anderen Leuten verabreden und treffen könnte. Mit Behinderten und Nichtbehinderten.

Wenn ich im Lotto gewinnen würde, würde ich gerne mal nach Amerika. Erst nach New York, um dort meine Lieblingsrapper zu treffen und dann zum Grand Canyon. Das wäre ein Traum.

Gemeinsam mit Andreas haben wir eine T-Shirt Kampagne rund um das Thema „Niemals Aufgeben“ organisiert. Ich mag im Rollstuhl sitzen und mich kaum bewegen können, trotzdem habe ich viele Ideen und freue mich über jeden gelebten Tag. Ich möchte anderen Menschen Mut machen und diesen eine Perspektive geben. Wir verkaufen die T-Shirts zum Beispiel auf Veranstaltungen. Das Geld, was wir dadurch einnehmen, spenden wir an die Deutsche Duchenne Stiftung in Bochum. Die Stiftung setzt sich für Kinder und Jugendliche, die diese Diagnose haben, und deren Familien ein, und steckt viel Geld in die Forschung und Öffentlichkeitsarbeit. Mein größter Wunsch ist, dass wir damit Erfolg haben und viel Geld sammeln. Damit die Krankheit weiter erforscht werden kann. Auch, wenn das lange dauert und man mir dann nicht mehr helfen kann, dann aber den anderen.

Angenommen, es würde eine „Wunderpille“ geben und du wärst von heute auf morgen wieder ganz gesund. Was würdest du als erstes machen?

Auf jeden Fall erstmal meiner Mutter helfen. Sie unterstützen, auch mit putzen und kochen. Dann würde ich gerne mal alleine auf die Toilette gehen. Selbstständig sein, das wäre schon toll. Manchmal ärgert es mich ein bisschen, dass ich manche Sachen nicht machen kann.

Hast du Angst vor dem Tod?

Nein, ich habe keine Angst zu sterben. Jeder muss sterben. Das muss man akzeptieren. Trotzdem kämpfe ich jeden Tag, damit ich noch lange lebe. Mir geht es ja gut, ich kann mich eben nur nicht bewegen. Außerdem glaube ich ganz fest daran, dass es eines Tages etwas aus der Medizinforschung oder Medizintechnik gibt, was mich vielleicht nicht ganz gesund macht, aber mein Leben noch etwas verlängert.

Gibt es denn etwas, vor dem du Angst hast?

Ja, vor Spinnen.

Wie kann man mit schwierigen Situationen besser umgehen? Welche Tipps kannst du unseren Lesern mit auf den Weg geben?

Aufgeben ist immer der leichteste Weg. Das muss einem klar sein. Man sollte einen anderen Weg suchen, auch wenn es schwer ist. Ich bin mir sicher, dass eine positive Einstellung vieles leichter macht. Und nicht immer nur an sich selbst denken. Es ist wichtig, an andere Menschen zu denken.
Vielen Dank für das tolle Gespräch, Alessio, und alles Gute für dich!

Alessios T-Shirt Aktion „Niemals aufgeben“

 

 


Die T-Shirts, die der Illustrator David Salomo aus dem Jacques-Tilly-Team designt hat und auf denen Alessios Lebensmotto „Niemals Aufgeben“ zu sehen ist, können für 9,90 EUR bei Andreas Vogt unter  AVogt@web.de bestellt werden.