Illustration: Mädchen wird online gemobbt SurfupVector/stock.adobe.com

Jeder fünfte Teenager hat bereits Beschimpfungen und Beleidigungen im Netz erlebt. Aber auch im realen Leben erleiden sie Ausgrenzungen und Anfeindungen. Besonders häufig sind Mädchen Ziel und Zeugin – Jungs werden häufiger zu Tätern. Maria S. hat Cybermobbing selbst erlebt: Sie erzählt davon, wie es ihr gelang, die schreckliche Situation zu stoppen.

„Egal was ist. Ich sehe das Positive und lege es mir so, dass es mich nicht kaputt macht. Vor 9 Jahren. Facebook erlebt seine Hochphase, Instagram ist noch nicht aktuell. Ich wechsle ins vorletzte Abijahr. 2 Mädels fragen vorsichtig, warum ich ein zweites Profil hätte. Mein Name. Nur statt Maria Mariia. Meine Bilder. Irgendein Spinner hat Langeweile, denk ich. Melde es, Facebook reagiert nicht. Egal. Wird schon verschwinden. Ein paar Wochen später kommen immer mal wieder Mädels. Die wurden von ihr angeschrieben. Ihre BH-Größe will mein offensichtlich weibliches Fakeprofil wissen. Verwerfe den Gedanken. So hohl ist sure männlich. Er läge auf dem Bett. Und du so? Freunde sprechen meine Eltern an, was ich treibe. Weitere Meldeversuche weist Facebook ab.“

Maria S. lebt in einem kleinen Ort zwischen Paderborn und Dortmund. Auf Instagram schreibt sie unter dem Account @marichensstorys offen und ehrlich über ihr Leben – auch über die schwere Zeit vor knapp zehn Jahren, als plötzlich ein Fakeaccount bei Facebook auftauchte, der in ihrem Namen vor allem junge Mädchen anschrieb und nach ihren BH-Größen fragte. In ihrem kleinen Heimatort mit nur 800 Einwohnern wurde sie bald angesprochen, was sie da nur im Internet treiben würde. „Ich bin eigentlich ein sehr selbstbewusster Mensch, doch nicht zu wissen, was da jemand in meinem Namen schrieb, machte mich schon verrückt“, erzählt die heute 26-Jährige.

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So gefährlich ist Cyber-Mobbing

Unter Mobbing versteht man das absichtliche Beleidigen, Bedrohen, Bloßstellen oder Belästigen anderer über einen längeren Zeitraum hinweg. Meist können sich die Opfer nicht oder nur schwer gegen die Übergriffe wehren – dadurch entsteht ein Machtungleichgewicht, das die Täterin oder der Täter ausnutzt. Daher findet Mobbing auch immer häufiger im Internet oder über das Smartphone statt, da die Täterin oder der Täter noch besser anonym bleiben kann.

Kinder und Jugendliche sind immer früher im Netz unterwegs – bereits 40 Prozent der 6 bis 12-Jährigen bewegen sich regelmäßig in sozialen Medien wie Facebook oder Instagram. Durch Home-Schooling in der Pandemie ist der Medienkonsum erneut gestiegen – die jungen Nutzer verbringen mehr Zeit Online. So steigt auch die Zahl der betroffenen Schülerinnen und Schüler – fast zwei Millionen haben Cybermobbing schon erlebt.

Endete früher das aktive Ausgrenzen nach Schulschluss, geht es heute in WhatsApp-Gruppen oder auf Instagram weiter. Es werden Fotos oder Videos des Opfers ins Netz gestellt, ihm übel nachgeredet, es wird im Klassenchat heruntergemacht oder nicht zu einer Party eingeladen.

Das hat weitreichende körperliche und vor allem psychische Folgen: Die Zahl der Betroffenen, die Suizidgedanken äußern, ist seit 2017 um 20 Prozent gestiegen – auch der Anteil derjenigen, die ihre Verlorenheit und Traurigkeit mit Alkohol und Tabletten betäuben, nahm um fast 30 Prozent zu.

Was kann man tun bei Cybermobbing?

„Irgendwann häuft es sich dann, für mich geht’s ins letzte Abijahr. Ich verliere Nerven an den Scheiß, Freundinnen werden angeschrieben, Bekannte machen sich Gedanken um ihre Partnerinnen. Ich werde aktiver, lasse mir alle Chatverläufe schicken und fange an, Listen zu schreiben. Wer könnte, wann, warum? Ich lasse die IP-Adresse illegal orten, die führt mich aber auch nur zurück in meine Straße. Vermeintlich falsch geortet und die eigene genommen. Tag und Nacht versuche ich mit Freunden, die Arschkrampe zu packen. Ich schwöre mir, der wird was erleben. Nerven liegen blank und Rachepläne wachsen. Immer mehr Mädels, vor allem Minderjährige werden von ihm angeschrieben.“

Viele Eltern bekommen von den Anfeindungen gegen ihre Kinder gar nichts mit – und wenn doch, dann fühlen sie sich überfordert und wissen nicht, wie sie reagieren sollen und wo sie sich Hilfe holen können. In der Cyberlife III-Studie des Bündnisses gegen Cybermobbing e.V. aus dem Jahr 2020 sagten zudem zwei Drittel der Lehrerinnen und Lehrer, dass sie auch an ihrer Schule bereits mit Cybermobbing in Berührung gekommen sind – Präventionsmaßnahmen jedoch aus ihrer Sicht abgenommen hätten. Soziale Medien versuchen zwar, auf Mobbing zu reagieren und Täterinnen oder Täter zu sperren, doch in der Praxis handeln sie meist zu spät oder gar nicht.

Auch bei Maria S. passierte nichts, Facebook reagierte nicht auf ihre Bitten, das Fakeprofil zu sperren. Erst durch einen Freund konnte sie die IP-Adresse des Täters orten – sie lag in ihrer eigenen Straße. Maria glaubte an einen Fehler, versuchte, ihren Stalker auf eigene Faust zu finden. Mit Freunden, die auf seine Nachrichten antworteten und verfängliche Fragen stellten, kam sie ihm Schritt für Schritt auf die Spur.

„Dann, Sonntagsabends. Keine Ahnung wie, keine Ahnung warum. Es hat Klick gemacht. Irgendwie wusste ich es plötzlich. Es passte alles. Die IP-Adresse kam eben doch aus unserer Straße. Ich bin mir sicher, jetzt fehlen nur die Beweise. 2 Jahre Nervenkrieg, Ungewissheit und Hass haben sich von jetzt auf gleich in Unverständnis & Befreitheit gewandelt. Er fühlte sich wohl sehr sicher und wurde unvorsichtig. Wir teilten uns seit der Grundschule bis zum Abi eine Klasse. Wenn einer krank war, brachte der andere Hausaufgaben. Der Weg vom Bus zurück war derselbe, man kannte sich. Kein großer Kontakt, keine Freundschaft, aber wohl Verknalltheit seinerseits.“


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Das große „WARUM?“ hinter Cybermobbing

Ihr Stalker war der Nachbarsjunge M., mit dem Maria jahrelang zur Schule gegangen war. „Er wurde seinerseits in der Schule gemobbt, da er stark übergewichtig und schon immer ein Außenseiter war“, erinnert sich Maria S. „Ich hatte mich aber nie daran beteiligt – dennoch wollte er sich wohl auch einmal in der überlegenen Position fühlen, jemandem das Leben zur Hölle zu machen und mir auf eine merkwürdige Art nahe sein.“ Mit der Hilfe ihrer Freunde und Familie hat die 26-Jährige die Verletzungen gut weggesteckt, doch auch heute noch – knapp zehn Jahre später – beschäftigt sie der Hass und die öffentlichen Bloßstellungen, heute mischt sich das mit Fremdscham und Unverständnis. Maria S. geht aber offen damit um und versucht, ihre Follower für die Folgen von Mobbing zu sensibilisieren.

Fast jeder dritte Täter hat laut der Cyberlife III-Studie des Bündnisses gegen Cybermobbing e.V. selbst schon einmal Cybermobbing-Attacken erlebt – das deutet laut Experten darauf hin, dass Opfer in negativer Hinsicht „Lerneffekte“ erzielen und dann mit den gleichen Methoden zurückschlagen. Umso wichtiger ist es, frühzeitig Mobbing zu stoppen und mutig dagegen vorzugehen.

Wo gibt es Hilfe gegen Cybermobbing?

Auf Anfeindungen zu reagieren, ist schwer – gegen die Täterinnen und Täter vorzugehen, noch schwerer. Dennoch gibt es viele Initiativen, die bei Mobbing oder Cybermobbing helfen können:

Wer sich in einer Krise befindet und unter 25 ist, kann krisenchat.de per Chat oder Whatsapp anschreiben. Das junge Berliner Team will die Zahl an jungen Hilfesuchenden reduzieren und in Echtzeit helfen.

Auf der Online-Plattform JUUUPORT beraten Jugendliche und junge Erwachsene andere junge Menschen bei Problemen im Netz kostenlos und anonym. Das Gute: Sie sind genauso alt wie die Betroffenen und sind deshalb auf Augenhöhe.

Bei der „Nummer gegen Kummer“ sitzen Experten, die sich gerne alle Sorgen anhören und auch mit konkreten Hilfsangeboten weiterhelfen – für Kinder, Jugendliche und Eltern.
Kinder- und Jugendtelefon: 116111 (montags bis samstags 14-20 Uhr)
Elterntelefon: 0800/111 0 550 (montags bis freitags von 9 bis 11 Uhr, dienstags und donnerstags zusätzlich von 17 bis 19 Uhr).

Wie man die Anbieter von Sozialen Medien am besten kontaktiert und um Löschung des Accounts oder der Inhalte bittet, listet Klicksafe.de auf: Service-Anbieter kontaktieren – klicksafe.de

Cybermobbing – wenn die Täter ihre Anonymität verlieren

„Und dann musste er uns den Laptop geben. Kennt ihr das, wenn eine Seite lädt, und die Scroll-Leiste immer kleiner wird, weil die Seite immer länger wird? So war das. Immer kleiner. Und kleiner. Weil die Seite der angeschriebenen Mädels lud. Und lud und lud und lud. Ich habe vorher so auf 30 bis 40 Mädels getippt, weil mich ja einige angesprochen haben.
Es waren 608. Sechshundertacht. S E C H S H U N D E R T A C H T.“

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Als der Täter Marias Fakeprofil nicht löschte, obwohl sie ihm die Möglichkeit dazu gegeben hatte, entschloss sie sich, Druck auszuüben. Flankiert von ihrem Vater und ihrem Bruder klingelte sie an der Tür des Nachbarsjungen M., seine Mutter öffnete. Die Familie kannte sich seit vielen Jahren „Die Mutter stritt natürlich erstmal alles ab und sagte immer wieder: Nein, nein, mein Junge macht doch sowas nicht!“, erinnert sich Maria S. „Doch als wir dann immer mehr Beweise vorbrachten, kapitulierte sie und ihr Sohn gab zu, mich im Internet verleumdet zu haben.“ Auch das Passwort rückte M. heraus – wenn auch nur durch Druck von Marias Vater und Bruder –, sodass Maria und ihre Familie all seine Chatverläufe nachvollziehen konnten. Er hatte mit Marias Namen mehr als sechshundert, teils noch minderjährige Mädchen angeschrieben, ihnen sexuelle Angebote gemacht. Um das irgendwie wieder gut zu machen, zwang Maria S. den Täter Entschuldigungsbriefe zu schreiben und zumindest an die Mädchen im Ort zu schicken, die sie persönlich kannte. Auf dem Abiball tauchte M. zwar noch auf, aber er spürte die Feindseeligkeit der anderen, die natürlich nun über alles Bescheid wussten. M. ging schnell wieder und zog kurze Zeit später in eine andere Stadt. Maria sah ihn nur noch einmal zufällig auf der Straße, doch auch heute noch – fast zehn Jahre später – denkt sie manchmal an die nervenaufreibende Zeit damals.

Die wichtigsten Fragen bei Cybermobbing

www.schueler-gegen-mobbing.de hat die häufigsten Fragen zusammengestellt, die sich Schülerinnen und Schüler stellen, wenn sie gemobbt werden:

Warum ich?

Du bist der einzige Schüler in deiner Klasse, der gemobbt wird und fragst dich, warum das so ist? Alle immer nur auf dich? Dafür gibt es keine gute Erklärung. Der Zufall hat entschieden, dass du der Auserwählte bist. Wer mobben will, findet immer einen Grund zum Mobben. Es kann also jeden treffen.

Bin ich schuld?

Nein. Die Mobber finden immer einen Grund, um zu mobben. Der Auslöser kann ein Streit über eine Kleinigkeit sein, der eskaliert ist.

Warum hilft mir niemand?

Die wenigsten Schüler wissen überhaupt, was Mobbing ist. Und ohne Aufklärung kann man natürlich auch nicht helfen. Hinzu kommt, dass viele deiner Freunde vielleicht selber Angst haben, gemobbt zu

werden, wenn sie dir helfen. Mache deine Freunde doch mal aufmerksam auf diese Seite, dann können sie selber herausfinden, was sie machen sollten.

Muss ich mich verändern?

Auf keinen Fall! Wenn du dich veränderst, sehen deine Mobber, dass sie alles mit dir machen können. Bleib so, wie du bist! Entweder, deine Mobber respektieren dich genau so, oder eben nicht. Auf jeden Fall sollte das nicht dein Problem sein!

Was läuft beim Mobbing falsch?

Schlimm genug ist es schon, dass es Mobbing gibt. Die Tatsache, dass Mobbing aber in der Öffentlichkeit ignoriert wird und alle wegsehen, ist noch viel schlimmer. Bei den meisten Menschen fehlt auf diesem Gebiet die Aufklärung. So kann man Mobbingopfern auch helfen oder generell etwas gegen Mobbing tun. Die Täter, die sowieso schon in der Überzahl sind, würden durch mehr Unterstützung für die Opfer endlich mal in die Schranken gewiesen werden.

Kann man Mobbing verhindern?

Leider nicht. Die Täter können immer ein Opfer finden. Man kann sich zwar wehren, Mobbing aber nicht vorbeugen. Allerdings könnte Prävention selbst „potenziellen Tätern“ zeigen, dass Mobbing wirklich schlimm ist. Ein paar Tipps, um auch sensibler mit den eigenen Daten im Netz umzugehen und so keine „Angriffsfläche“ zu bieten, gibt es hier.

Wer kann mir helfen?

Eigentlich jeder. Such dir Verbündete, die dich unterstützen können und wollen. Vor allem Lehrer sind gut dazu geeignet, gegen das Mobbing an Schulen etwas zu unternehmen. Ansonsten solltest du vielleicht erst einmal mit deinen Mobbern reden.

Was kann ich persönlich tun?

Alleine gegen eine große Mobbergruppe anzukommen ist sehr schwierig. Das kannst du nur mit der Unterstützung anderer. Wende dich an Freunde, Bekannte, Familienmitglieder und Lehrer. Und sollte es ganz schlimm werden, dann noch an einen Psychiater oder Psychologen. Im Anfangsstadium des Mobbings kann es manchmal helfen, einfach nur die Täter darauf aufmerksam zu machen, was sie überhaupt anrichten. Versuch das doch auch mal!