„Mädchen oder Junge, was wird es wohl?“ Diese Frage stellen sich die meisten werdenden Eltern. Spätestens nach der Geburt wissen sie dann Bescheid – doch manchmal nicht so ganz, manchmal lässt sich das Neugeborene nicht eindeutig einem der binären Geschlechter (Mann/Frau) zuordnen. Auch wird bei einer Geburt meist nach den äußeren Geschlechtsmerkmalen geurteilt. Innen kann es wieder ganz anders aussehen: Jedes Jahr werden circa 800.000 Babys geboren. Etwa 150 von ihnen werden dabei intersexuell identifiziert. Doch ist diese Zahl wirklich realistisch? Wir versuchen, dir die häufigsten Fragen zum Thema Intersexualität zu beantworten.
Was genau ist Intersexualität?
Zunächst einmal: Intersexualität beschreibt keineswegs eine sexuelle Orientierung oder Vorliebe. Der Begriff dreht sich um die biologische Geschlechtsentwicklung. Ein intersexueller Mensch hat keine eindeutigen Geschlechtsmerkmale entwickelt. Er kann deswegen keinem der binären Geschlechter (Mann oder Frau) zugeordnet werden. Doch es gibt nicht „die eine“ Intersexualität. Vielmehr wird Intersexualität in bis zu 3000 Ausprägungen, Syndrome und Anomalien unterteilt. Swyer-Syndrom, Turner-Syndrom und Klinefelter-Syndrom sind nur einige davon.
Wie viele intersexuelle Menschen gibt es?
In der Einleitung haben wir es bereits angeteasert: etwa 800.000 Geburten, etwa 150 intersexuelle Babys. Dennoch können die wirklichen Zahlen nur geschätzt werden. Intersexualität wird oft erst später bemerkt, zum Beispiel, wenn in der Pubertät keine Periode eintritt. Und manchmal wird sie sogar nie bemerkt. Einige Experten nehmen an, dass in Deutschland ungefähr 100.000 Menschen intergeschlechtlich sind. Weltweit geht man teilweise von 0,2 Prozent aus, also 1 von 500 Menschen. Auf Deutschland gerechnet wären das etwa 166.040 Menschen. Andere Wissenschafter gehen noch weiter: Bis zu 1,7 Prozent ließen sich nicht eindeutig einem Geschlecht zuordnen. Du merkst, diese Frage lässt sich kaum genau beantworten.
Wie spricht man intersexuelle Menschen an?
In der Ansprache gibt es keine allgemeine Regel. Daher kann die einzige Antwort lauten: Frag nach – und zwar beim Menschen selbst. Einige intersexuelle Menschen identifizieren sich mehr mit einem der binären Geschlechter und finden es oft auch in Ordnung, mit diesem angesprochen zu werden („Hallo Frau Müller“). Sprichst du über jemanden in der dritten Person („er/sie“), kannst du oft auch einfach den Vornamen einsetzen. Letztendlich ist jeder Mensch individuell und es gibt keine Formel. Bist du dir also unsicher, frag die betreffende Person einfach. Sie wird dir bestimmt nicht böse sein.
Was hat das mit dem dritten Geschlecht „divers“ zu tun?
Seit Ende 2018 haben intersgeschlechtliche Personen beziehungsweise vielmehr ihre Ärzte die Möglichkeit, im Geburtenregister das Geschlecht „divers“ eintragen zu lassen. Tatsächlich beschränkt sich das neue Gesetz, das in § 22 PStG Abs. 3 nachzulesen ist, auch auf diese: Nur, wer biologisch nicht einem der binären Geschlechter zugeordnet werden kann, darf sich selbst offiziell „divers“ eintragen lassen. Hierfür braucht es einen medizinischen Nachweis. Wer sich trotz eindeutiger körperlicher Geschlechtsmerkmale keinem binären Geschlecht zugehörig fühlt (wie beispielsweise viele transsexuelle Menschen), wird von der neuen Regelung ausgeschlossen. (Stand August 2020)
Wen lieben intersexuelle Menschen?
Das biologische Geschlecht und die Partnerwahl hängen nicht zusammen. Intergeschlechtliche Menschen lieben, wen sie lieben wollen – genau wie jeder andere. Zu welchem Geschlecht sie sich hingezogen fühlen, ist also ganz individuell.
Können intersexuelle Menschen ihr Geschlecht angleichen lassen?
Zeigt ein Säugling nach der Geburt keine eindeutigen Geschlechtsmerkmale, wird oft eine geschlechtsangleichende Operation durchgeführt. Auch, wenn dies medizinisch nicht immer nötig ist. Gegen diese rein kosmetischen Eingriffe sprechen sich aber viele Betroffenenverbände aus. Sie empfinden es als Menschenrechtsverletzung, diese wichtige Entscheidung ohne den Willen des Kind zu treffen. Und viele wünschen sich auch eine gesetzliche Regelung, die medizinisch nicht notwendige Operationen ohne Einverständnis des Betroffenen verbietet. Besitzt ein Säugling zum Beispiel Eierstöcke und gleichzeitig Penis, würden Eltern und Ärzte über den Kopf des Kindes hinweg entscheiden, mit welcher „erzwungenen“ Geschlechteridentität es aufwächst. Eine Last, die schwerwiegende Folgen für das Kind haben kann. Diese Entscheidung sollte dem Menschen selbst überlassen werden, sobald er bereit dazu ist – sofern es medizinisch möglich ist, mit einer Operation zu warten.
Wie findet man heraus, ob man intersexuell ist?
Wer glaubt, möglicherweise intergeschlechtlich zu sein, und es herausfinden möchte, sollte einen Arzt aufsuchen. Die erste Anlaufstelle kann der Hausarzt sein. Er wird an einen Facharzt weiterleiten oder selbst mit Untersuchungen, wie beispielsweise einem Ultraschall, beginnen. Der Arzt kann auch beraten, wenn man über eine geschlechtsangleichende Operation nachdenkt. Beim Bundesverband Intersexuelle Menschen e. V. kannst du dir auch Rat von anderen intersexuellen Personen holen und dich austauschen.
Hast du weitere Fragen rund um die Themen Gesundheit, Partnerschaft und Sexualität? Schreib dem vigozone-Team auf Instagram oder wende dich anonym an die Experten der AOK Rheinland/Hamburg.