Ein unglückliches Mädchen spricht über ihre Situation © fizkes/AdobeStock

Wenn Kinder aufgrund familiärer Probleme in die Elternrolle schlüpfen und viel zu früh viel zu viel Verantwortung tragen müssen, kann das zu einer Überforderung führen. Das macht eine unbeschwerte Kindheit und Jugend schwierig. Wir erklären dir, woran du Parentifizierung erkennst und was du dagegen tun kannst.

Was ist Parentifizierung?

Eigentlich ist es Aufgabe der Eltern, ihren Kindern schwere Entscheidungen und emotionale Last abzunehmen oder sie zumindest sanft darauf vorzubereiten, bis sie selbst alt genug sind. In einigen Familien aber kehrt sich die Rollenverteilung um: Das Kind muss stark sein, weil die Eltern es nicht sind. Zum Beispiel, indem das Kind sich um kleinere Geschwister kümmert und übermäßig viele Aufgaben im Haushalt übernimmt. Oder das Kind wird selbst zu Mama oder Papa – und unterstützt seine Eltern, weil diese emotional oder ganz praktisch Lebenshilfe benötigen, zum Beispiel wegen einer Suchterkrankung wie Alkoholismus.

Welche Ursachen hat der Rollentausch zwischen Eltern und Kindern?

Es gibt unterschiedlichste Konstellationen, in denen es zu Parentifizierung kommt. Wenn Eltern körperlich oder psychisch krank sind, können sie die Elternrolle häufig nicht erfüllen, sondern brauchen selbst Hilfe. Anstatt diese außerhalb der engsten Familie zu suchen, fordern sie sie direkt bei ihren Kindern ein. Auch bei Alleinerziehenden oder Verwitweten gibt es dieses Phänomen. Typisch ist auch, dass Eltern aufgrund ihrer eigenen Kultur und Erziehung erwarten, dass der Nachwuchs Verantwortung übernimmt. Sie drängen die eigenen Kinder dann in die Rolle der kleinen Erwachsenen.

Welche Folgen hat Parentifizierung auf Kinder und Jugendliche?

Kinder und Jugendliche reagieren häufig mit Stress und negativen Gefühlen, wenn ihnen zu viele Aufgaben, Tätigkeiten, Entscheidungen, Emotionen, Wissen und Erwartungen zugemutet werden. Sie ahnen, dass sie – zumindest emotional – „missbraucht“ werden, wehren sich aber schon aus Loyalität zu den Eltern nicht dagegen. Diese Erfahrungen wirken sich auch langfristig auf die Sozialisation und Persönlichkeitsentwicklung aus. Typische Merkmale sind:

  • Rollenverwirrung: Du fragst dich, bin ich Kind oder Erwachsener? Wenn du Erwachsener „bist“, darfst du ja nicht Kind sein. Das kann zur schwerwiegenden Identitätsproblemen führen, weil du ständig eine Rolle spielen musst, die nicht deiner eigentlichen entspricht.
  • Kindheitsverlust: Du musst viel zu schnell erwachsen werden, weil du keinen anderen Weg siehst als den, Verantwortung zu übernehmen. Für deine Eltern, für deine Geschwister, für dich selbst. Dadurch fehlt dir die Zeit, einfach Kind zu sein: zu spielen, Freundschaften zu pflegen und über dich selbst nachzudenken, anstatt zuerst an andere. Und du traust dich nicht, dich von deinen Eltern zu lösen – du verpasst damit die wichtige Autonomieentwicklung, die zum Erwachsenwerden gehört.
  • Emotionale Überforderung: Die Konfrontation mit Erwachsenengedanken, -geheimnissen und -problemen ist eine massive Überforderung. Das kann dich sehr belasten und sogar Minderwertigkeitsprobleme in dir hervorrufen, weil du diese viel zu große Aufgabe einfach nicht schaffen kannst. Außerdem hindert es dich daran, deine eigenen Gefühle und Bedürfnisse wahrzunehmen. In ernsten Fällen kommt es zu einer Depressionen.

Was kann ich gegen Parentifizierung tun?

Wenn du dich und deine Familie hier wiedererkennst, ist das schon mal sehr gut. Denn du hast jetzt einen Namen für das Problem, das dich belastet, das du aber vorher nicht in Worte fassen konntest. Informiere dich in vertrauenswürdigen Quellen gerne noch weiter über das Thema, aber suche dir auch jemanden zum Reden: Freunde, andere dir nahestehende Erwachsene, deine Sporttrainerin oder deinen Lehrer.

Auch professionelle Unterstützung kannst du in Anspruch nehmen, etwa in einer Jugendberatungsstelle oder bei einem Therapeuten.

Wenn du den Mut hast, sprich das Thema zu Hause offen an. Wahrscheinlich ist es deinen Eltern gar nicht bewusst, wie viel Last sie dir aufbürden. So haben sie die Chance, ihr eigenes Handeln zu reflektieren. Wenn du auf Abwehr stößt, kannst du versuchen, deine Eltern von einem gemeinsamen Gespräch in einer Beratungsstelle oder bei einem Familientherapeuten zu überzeugen.

Und, ganz wichtig für dein gesamtes Leben: Setze klare Grenzen. Lerne, deutlich „Nein“ zu sagen. Du musst nicht die Probleme deiner Eltern lösen. Es ist ihr Job, sich um dich zu kümmern. Damit du deine Kindheit und Jugend genießen und selbstbewusst groß werden kannst.

 

Diese Anlaufstellen können dir weiterhelfen: