Wenn deine Eltern Drogen nehmen, wirkt sich das massiv auf dein Leben aus. Die Sucht bestimmt euren ganzen Alltag als Familie und fühlt sich wie Fesseln an. Unsere Tipps, was du jetzt tun kannst.
Drogensucht ist eine Krankheit, die die ganze Familie betrifft. Sie „schleicht“ sich langsam ins Leben. Anfangs wirkt es vielleicht ganz harmlos, wenn Mama oder Papa jeden Abend eine Flasche Wein trinken. Mit der Zeit wird dieser Konsum aber immer schlimmer, verstärkt sich und wirkt sich auf das komplette Familienleben aus. Die Person kann nicht auf die Droge – in diesem Fall den Alkohol – verzichten. Das Verlangen danach ist wie ein Zwang (auch „Craving“ genannt) – obwohl der oder die Betroffene weiß, wie schädlich der Konsum ist. Alles andere im Leben rückt in den Hintergrund: der Beruf, das Familienleben oder der Freundeskreis.
Sucht in der Familie bedeutet „Co-Abhängigkeit“
Wenn man Menschen sehr nahesteht, die abhängig sind, oder mit diesen zusammenwohnt, kriegt man automatisch auch etwas von der Sucht mit. Vor allem Kinder und Jugendliche kommen schon früh in eine verantwortungsvolle Position, wenn ein oder beide Elternteile suchtkrank sind, und übernehmen Aufgaben, die sie eigentlich gar nicht übernehmen können. Zum Beispiel kümmern sie sich um den Haushalt oder gehen einkaufen, anstatt sich mit ihren Freunden zu treffen oder Hausaufgaben zu erledigen.
Fachleute nennen diesen Zustand „Co-Abhängigkeit“. Laut Schätzungen sind in Deutschland rund acht Millionen Menschen, größtenteils Frauen, co-abhängig. Die Dunkelziffer ist vermutlich noch viel höher.
Kristin Frank ist Sozialarbeiterin, systemische Beraterin in Ausbildung und Projektmitarbeiterin von der Online-Beratungsstelle „Kidkit“. Sie hat uns alle wichtigen Fragen zu dem Thema im Interview beantwortet. Durch ihre Arbeit kennt sie beide Seiten, die der suchtkranken Eltern und die der Kinder. Ihre Botschaft an alle jungen Menschen mit suchtkranken Eltern lautet: Sucht euch Hilfe, es lohnt sich immer.
Sucht in der Familie betrifft alle
Co-Abhängigkeit betrifft also Menschen, die einem Suchtkranken sehr nahestehen und sogar mit ihm zusammenleben. Experten sprechen auch von „Mitbetroffenheit“, weil es die Situation der Angehörigen besser umschreibt. „Abhängigkeit“ ist außerdem ein sehr negativ behaftetes Wort und erweckt den Eindruck, dass Betroffene auch erkrankt seien. Was natürlich nicht der Fall ist!
Generell meint „Co-Abhängigkeit“ das Verhalten von Angehörigen, die auf unterschiedliche Weise versuchen, die Sucht zu verharmlosen oder Symptome zu verschleiern – was unbewusst und unbeabsichtigt passiert. Das bedeutet zum Beispiel, dass man Ausreden erfindet, wenn der Papa einen nicht zum Fußballspiel fahren kann oder lügt, wenn man gefragt wird, wie es denn der Mama geht – weil man nicht will, dass Außenstehende mitkriegen, dass zuhause etwas nicht stimmt oder es jemandem nicht gut geht.
Der Begriff „Co-Abhängigkeit“ bezieht sich aber nicht nur auf diese Art von Verhalten, sondern meint auch die Frust, die Trauer und die Hoffnungslosigkeit mit, die man in so einer Situation spürt.
Kinder oder enge Angehörige des Suchtkranken schämen sich oft oder fühlen sich schuldig für das Leid des Abhängigen. Mit aller Kraft wollen sie das Bild einer glücklichen Familie aufrechterhalten. Das Problem dabei: So bleibt die Sucht stabil. Der oder die Abhängige wird dabei unterstützt, mit der Sucht zu leben, und nicht von ihr loszukommen. Ein Beispiel: Wenn es immer etwas zu essen im Haus gibt, weil die Kinder einkaufen waren, dann muss Papa ja gar nicht aufstehen und nüchtern werden, um sich um den Wocheneinkauf zu kümmern. Die vollen Auswirkungen seiner Krankheit spürt er nicht. Der sogenannte Leidensdruck für ihn bleibt auf einem erträglichen Level – bewirkt aber auch, dass er wahrscheinlich keinen Anlass sieht, etwas zu ändern. Er denkt: „Es läuft ja alles ganz ok“ – wobei in Wirklichkeit nichts okay ist.
Alles dreht sich in der Familie um die suchtkranke Person
Obwohl jeder Fall, jede Familie natürlich immer unterschiedlich ist, gibt es ein Muster, das bleibt: – und die Co-Abhängigen bleiben auf der Strecke. Sie lernen, alles für den oder die Süchtige zu tun und vergessen sich dabei selbst. Oft verläuft das Verhalten in unterschiedlichen Phasen ab, die über Jahre oder Jahrzehnte andauern können: Am Anfang entschuldigen Co-Abhängige das Verhalten des Suchtkranken und führen Gründe für seine Sucht an wie Stress oder der Job-Verlust. Das ist eine Form der Verdrängung, denn oft ist die Wahrheit schwer. Danach folgt die Kontrollphase. In der versuchen die Co-Abhängigen, den Süchtigen mit aller Kraft am Konsum oder Suchtverhalten zu hindern – größtenteils erfolglos. Der Abhängige wird immer cleverer Wege finden, seinen Konsum zu verheimlichen. Diese Erfahrungen können dann bei den Angehörigen umschlagen in Wut, Resignation, Schuldzuweisungen oder Ablehnung.
Sucht in der Familie – wie komme ich da raus?
Verhaltensmuster in suchtkranken Familien sind sehr festgefahren. Das heißt aber nicht, dass das so bleiben muss. Eine Familie funktioniert wie ein Mobile: Wenn an einem Strang gezogen wird und er sich verändert (zum Beispiel sucht sich das Kind Hilfe und verlässt seine Rolle als Beschützer), muss sich alles neu ordnen. Es bedeutet nicht, dass alles kaputt geht und in sich zusammenfällt – stattdessen gleichen sich manche Sachen einfach aus. Genau das kann eine neue Chance für die Familie sein. Und vielleicht ein Anreiz für das suchtkranke Elternteil, sich ebenfalls Unterstützung zu suchen. Also, wenn du so eine schwierige Situation zuhause hast: Trau dich, aus der Spirale auszubrechen.
Was tun, wenn ich merke, dass meine Eltern süchtig sind?
Ganz wichtig – mach dir folgendes klar: Deine Eltern leiden an einer psychischen Erkrankung, an der du nicht schuld bist und die du nicht heilen kannst. Mach dir keine Vorwürfe. Du hast nichts falsch gemacht.
Versuche, die Sucht als Krankheit zu akzeptieren. Für deine Eltern hat das Suchtmittel höchste Prio in ihrem Kopf. Der Gedanke „Ich brauch das, um zu funktionieren“ ist präsenter als alles andere. Dazu kommt oft noch die körperliche Abhängigkeit mit Zittern, Unruhe, Schweißausbrüche. Sie fühlen sich nur normal, wenn sie auf Drogen sind. All das führt dazu, dass deine Mama oder dein Papa durch ihre Sucht sehr eingeschränkt sind und wenig leistungsfähig. Auch ihr Verhalten ist oft widersprüchlich: Mal schreien sie dich an wegen nichts, mal überschütten sie dich mit Liebe. Das ist extrem verwirrend und belastend. Diese übertriebenen Reaktionen haben aber gar nichts mit dir zu tun, sondern nur mit dem Verlauf ihrer Suchterkrankung.
Wenn du versuchst zu verstehen, warum deine Eltern sich so verhalten, geht das Problem zwar nicht weg, aber du kannst mehr Mitgefühl aufbringen. Eine professionelle Beraterin oder ein Berater, können dir dazu gute Infos geben. Am Ende des Textes haben wir einige Anlaufstellen aufgelistet.
Bis deine Eltern sich entschließen, der Sucht den Kampf anzusagen – vielleicht wagen sie den Schritt auch nie – musst du versuchen, auf DICH aufzupassen. Du wirst die Erkrankung nicht heilen können, aber du kannst beeinflussen, wie sie sich auf dich auswirkt.
SOS-Hilfe für zuhause
Lies dir die folgenden Sätze laut vor. Sie sollen dich daran erinnern, wie du besser mit dem Thema Sucht umgehen kannst:
Sucht ist eine Krankheit.
Ich habe sie nicht verursacht.
Ich kann sie nicht kontrollieren.
Ich kann sie nicht heilen.
Ich kann für mich selbst sorgen, indem ich über meine Gefühle mit Erwachsenen spreche, denen ich vertraue.
Ich kann gute Entscheidungen treffen – für mich.
Ich kann stolz auf mich sein.
Diese Liste stammt von der amerikanischen Organisation „National Association for Children of Alcoholics (NACoA)“. Seit 1982 setzen sich ihre Mitglieder für Kinder ein, deren Eltern alkohol- und drogenabhängig sind.
Wo finde ich Hilfe, wenn jemand in der Familie süchtig ist?
Sprich am besten mit jemandem, dem du richtig vertraust – ob Freunden oder Freundinnen, Oma, Tante, deinem Lehrer, deiner Trainerin oder den Eltern von deinem best buddy. Es braucht dir nicht peinlich sein, über deine Probleme zu reden. Es gibt viele, die in der gleichen Lage sind wie du: Statistisch gesehen hat jedes fünfte bis sechste Kind in Deutschland ein oder zwei Elternteile mit einem Suchtproblem!
Ein schlechtes Gewissen deinen Eltern gegenüber brauchst du auch nicht haben. Sie können sich wahrscheinlich gerade nicht gut um dich kümmern, deshalb hilfst du dir selbst am besten, wenn du dir externen Support holst.
Du kannst zum Beispiel eine bundesweite Beratungsstelle kontaktieren. Das geht sogar anonym: per Chat, E-Mail oder Telefon. Wir haben dir weiter unten einige Beratungsstellen mit Kontaktdaten verlinkt.
Was passiert, wenn ich mich bei einer Beratungsstelle melde?
Erst mal wird einer oder eine ausgebildete Expertin aufmerksam zuhören, was du berichtest. Die Person wird dir genau erklären, warum es sich bei der Sucht deiner Eltern um eine chronische Erkrankung handelt – und es nie an dir liegt!
Im Mittelpunkt der Beratung stehst Du: Was du brauchst, fühlst und denkst. Um deine Situation einordnen zu können, fragen dich die Berater und Beraterinnen zum Beispiel: Wie belastet bist du? Schaffst du es überhaupt, zur Ruhe zu kommen? Ist da jemand in deinem Umfeld, den du um Hilfe fragen kannst? Kannst du aktuell dein Leben genießen?
Dazu erhältst du gute Tipps. Du wirst geschult, dich wieder selbst besser wahrzunehmen und einen positiven Blick auf dich selbst zu richten. Das kann nur im Rahmen eines Chats sein, du kannst aber auch über ein paar Wochen hinweg begleitet werden – ganz, wie du es brauchst. Natürlich kannst du auch an eine Stelle in der Nähe deines Wohnortes vermittelt werden. Das ist aber kein Muss. Sogar in kleinen Städten gibt es Suchtberatungs- oder Familienberatungsstellen, bei denen du vorbeischauen kannst. Hier können auch deine Eltern mit hinkommen und ihr könnt euch gemeinsam beraten lassen. Sollte es dir in deiner Familie sehr schlecht gehen, sind die Berater und Beraterinnen dazu verpflichtet, es dem Jugendamt zu melden. Das Jugendamt kann dann zum Beispiel im ersten Schritt Familienhilfen einrichten, die euch regelmäßig unterstützen können.
Sucht in der Familie – bei diesen Anlaufstellen findest du Hilfe:
Wenn du Hilfe brauchst, findest du im Folgenden gute Anlaufstellen. Schreib uns auch gerne eine Nachricht bei Instagram, wenn du noch Fragen zum Thema hast.
Anonyme und kostenlose Beratung:
- Anonyme Online-Beratung KidKit per Chat und E-Mail
- Online-Beratung des NACOA e.V.
- Drugcom als gute Infoquelle, Beratung per Mail und Chat
- Online-Beratung der Telefonseelsorge
Selbsthilfegruppe für Kinder suchtkranker Eltern:
Selbsthilfegruppen für erwachsene Kinder von suchtkranken Eltern: